Ermächtigung für Hartz IV nach Gutsherren Art
vom 02. Juni 2013
Das sind nur zwei von zigtausenden Hartz IV-Schicksalen
in mittlerweile über 100 Optionskommunen, die - von den Weisungen der
Bundesagentur für Arbeit (BA) unabhängig -nach Gutsherren Art über Hartz
IV-Millionen frei verfügen können.
Möglich machte diese Kommunalkassen-freundliche Regelung
ein Kompromiss zwischen der Rot-Grünen Bundesregierung und den Regierungen der
Länder.
Letztere waren nämlich nur unter der Bedingung bereit,
dem Hartz IV-Gesetz, SGB II zuzustimmen, wenn - neben dem Regelmodell der
Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit - zunächst 69 Landkreise und
kreisfreie Städte ab 1. Januar 2005 zur von der BA-unabhängigen Trägerschaft
der Grundsicherung für Arbeitsuchende ermächtigt würden - ein im Sinne von
Arbeitslosen völlig sinnloses Verwaltungsmodell, das es nach dem bis dahin
gültigen Bundessozialhilfegesetz niemals gegeben hatte.
Der Öffentlichkeit
wurde dieses sogenannte politische Experiment vom damaligen Arbeitsminister
Olaf Scholz (SPD) mit Sonntagsreden verkauft, die selbst ihre Verkünder schon
damals wohl kaum geglaubt haben dürften.
Ihr Tenor:
die örtlichen Verwaltungen
seien viel näher an den Menschen und an den vermittelbaren Arbeitsplätzen.
Schöne Worte, böse Falle
Schöne Worte, die sich als böse Falle entpuppten. Und
diese Falle war keineswegs ein Versehen.
Sie war absichtsvolles politisches
Kalkül im Rahmen der Hartz IV-Gesetzgebung. Dafür wurde sogar klammheimlich das
Grundgesetz geändert und um den Artikel 91e erweitert.
Mit dieser Einigung über
alle Parteigrenzen hinweg wurde die - die Kommunen zu alleinigen,
unkontrollierten Hartz IV-Verwaltungs-Entscheidern machende
- Regelung mit Verfassungsrang auch finanziell
abgesichert: die Optionskommunen haben das Sagen und
„die notwendigen Ausgaben
einschließlich der Verwaltungsausgaben trägt der Bund“ (GG Art. 91e).
Die Bundesagentur für Arbeit kann- nach dieser
wasserdichten Abschottung der Optionskommunen via Grundgesetz und
Sozialgesetzbuch Zwei
- keinerlei Einfluss auf die Verwendung der Hartz
IV-Gelder nehmen
- auch nicht darauf, dass in mutmaßlich
zigtausenden Fällen
Geld nicht an die Berechtigten ausgezahlt
sondern in die kommunalen Kassen
gebucht wird.
Zuschlag für weitere Profiteure beim Run um die Hartz
IV-Gelder
Da verwundert es auch nicht, dass - obwohl
die 6-jährige
Vergleichsprüfung des Arbeitsministeriums
keinerlei positiven Erkenntnisse für
das Modell der Optionskommunen erbrachte
- diese ab 2012 noch einmal um die Hälfte aufgestockt wurden. Die
Begehrlichkeiten waren groß: doppelt so viele Kommunen und kreisfreie Städte
hatten die Hände danach ausgestreckt.
Grundgesetzänderung zur unbefristeten Ermächtigung als
Optionskommune
Obendrein wurde die Befristung nach den ersten sechs
sogenannten „Experimentier“-Jahre am 1. Januar 2011 aufgehoben. Als Ergebnis
der diversen gesetzlichen Schachzüge besitzen die „Optionskommunen“ inzwischen
die unbefristete alleinige Trägerschaft für die Umsetzung des SGB II. Die
notwendige Grundlage hierfür lieferte die Änderung des Grundgesetzes durch
Einführung des Artikel 91e.
Zielvereinbarungen mit den Landesbehörden
Ursache für die in letzter Zeit deutlich zunehmend immer
restriktiveren Verweigerungen von Hartz IV-Leistungen in Optionskommunen
dürften die sogenannten „Zielvereinbarungen“ des § 48b SGB II sein. Sie sind
verknüpft mit Sanktionen oder Prämien bei Zielverfehlung bzw.
Zielerreichung und davon abhängiger Mittelausstattung.
Neben den in den Jobcentern besonders gerne hochgehaltenen gesetzlichen
Vorgaben der „Verringerung der Hilfebedürftigkeit“ sowie „Integration in
Erwerbstätigkeit“ dürfte vermutlich das dritte Ziel des Gesetzgebers die
zentrale Rolle spielen - nämlich die
„Vermeidung von Leistungsbezug“.
Denn vermieden wird nach aller Erfahrung von Hartz
IV-Initiativen insbesondere in den Optionskommunen was das Zeug hält - und
nicht nur in den beispielhaft geschilderten Fällen im Jobcenter Landkreis
Peine, über den die Hartz4-Plattform bereits am 22. Mai berichtete und vom
Jobcenter Ennepe-Ruhr-Kreis, über den in Kürze ausführlich berichtet werden
wird.
Im „Vermeiden“ von Leistungen - und nicht etwa im schön
geredeten „Fördern“ - offenbart sich der eigentliche Nutzen für die
Optionskommunen. Da wird eine Gelddruckmaschine für kommunale Haushalte
angeschmissen.
Können Sozialgerichte unabhängig entscheiden?
Beide
Beispielfälle aus dem Landkreis Peine und dem Ennepe-Ruhr-Kreis - von
der 52. Kammer des Sozialgerichts Braunschweig sowie der 33. Kammer des
Sozialgerichts Dortmund zurückgewiesen -
ließen erschreckend größeres
Einfühlungsvermögen für die Rechtsauffassung der an die SPD-Landräte gebundenen
Jobcenter erkennen als für die Klagebegründungen der klagenden „Kunden“.
Da drängt sich die Frage auf, ob die Richter überhaupt
unabhängig entscheiden konnten - ohne gleichzeitig ihre Karriere zu gefährden?
Muss man aus der Erfahrung mit nicht nachvollziehbaren richterlichen
Entscheidungen diese Frage womöglich mit nein beantworten?
Ist hier der
Feststellung von Heribert Prantl zu folgen? Der hatte nämlich am 6.
April 2006 in der Süddeutschen Zeitung geschrieben:
„Unabhängigkeit ist freilich nicht schon deswegen einfach da, weil es im
Grundgesetz steht“.
Ist wieder einmal das Grundgesetz nur ein schöner Schein?
Theoretische Unabhängigkeit von Richtern im Grundgesetz
oder praktische Abhängigkeit von Parteipolitik?
Berufung und Beförderung von Richtern auf Länderebene
erfolgt nach der Entscheidung von Richterwahlausschüssen unter Vorsitz des für
das jeweilige Sachgebiet zuständigen Ministers - in der Sozialgerichtsbarkeit
des Sozialministers. Für Peine ist das die niedersächsische Sozialministerin
Cornelia Rundt (SPD) und für den Ennepe-Ruhr-Kreis NRW-Sozialminister Guntram
Schneider (SPD).
Stimmberechtigte Mitglieder der Richterwahlausschüsse
sind zu 2/3 Abgeordnete der Länderparlamente - in der Regel mutmaßlich
gehorsame Parteisoldaten.
Das lässt wohl keinen anderen Schluss zu, dass es für
Richter karriereschädigend sein könnte, wenn sie im Zweifel gegen die Exekutive
entschieden
- im Falle von Hartz IV-Optionskommunen
also gegen die Landräte als
oberste Dienstherren der Jobcenter.
Deutschland: EU-Problemkandidat wegen fehlender
Unabhängigkeit seiner Richter von der Exekutive
"... In der Empfehlung des Europarates über die
Rolle der Richter und in den Kriterien der Europäischen Union über die Aufnahme
neuer Mitgliedsländer heißt es:
»Die für die Auswahl und Laufbahn der Richter
zuständige Behörde sollte von der Exekutive unabhängig sein«.
Das ist so in
Frankreich, Spanien, Italien, Norwegen, Dänemark und in den Niederlanden - in
Deutschland nicht. Deutschland wäre also, wäre es nicht schon Kernland der EU,
ein problematischer Beitrittskandidat ..."
(Quelle: gewaltenteilung.de)
Da vermutlich für die Unabhängigkeit der
Richterberufungen noch längere Zeit viel dicke Bretter beim Gesetzgeber zu
bohren sein werden, muss aber die Mindestforderung an alle Wahlkämpfer lauten:
Im Sinne des von allen Parteien proklamierten Top-Themas „soziale
Gerechtigkeit“ muss zwingend kurzfristig
das Modell der Optionskommunen bei Hartz IV abgeschafft werden! -
zumindest wenn die Parteien Demokratie und Rechtsstaat tatsächlich für so
„alternativlos“ halten wie sie nicht müde werden zu behaupten.
Wiesbaden, 02. Juni 2013
Brigitte Vallenthin
Presse
Hartz4-Plattform
die Hartz IV-Lobby
Fon 0611-1721221, Mobil 01525-3520721
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