Hartz IV-Skandal
- Sozialgericht Magdeburg und Jobcenter Harz:
Datenschutz-freie Zone ?
PRESSEMELDUNG
vom 10. Dezember 2013
Dem Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt
platzt der Kragen
Auf Anfrage der Hartz4-Plattform hatte der
Landesbeauftragte für den Datenschutz Sachsen-Anhalt gegenüber der
Arbeitsloseninitiative bestätigt, dass das Erzwingen einer ärztlichen
Schweigepflicht-Freigabe unter Androhung von Leistungssperre
Ohne von dem Betroffenen selber zur Intervention bei der Hartz IV-Behörde
gebeten worden zu sein, hat die Datenschutzbehörde dem Jobcenter Landkreis Harz (KoBa) jetzt von sich aus eine entsprechende Rüge
erteilt.
Man kann wohl davon ausgehen, dass dem Datenschutzbeauftragten
buchstäblich der Kragen geplatzt ist.
Immerhin liegt seinem Hause bereits seit
Juli diesen Jahres ebenfalls eine Anfrage der Hartz4-Plattform vor wegen des
Versuch, bei demselben Jobcenter-„Kunden“ schon einmal mit massivem Druck die
Unterschrift unter eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht zu
erzwingen.
In dem Falle kam der Erzwingungsversuch allerdings nicht aus der
Hartz IV-Behörde sondern vom Sozialgericht Magdeburg.
„Wir gehen davon aus,“
meint Hartz4-Plattform-Sprecherin Brigitte Vallenthin, „dass die energische
Rüge des Datenschutzbeauftragten deshalb erfolgte, weil aktuell Behörde und
Gericht die Zusammenarbeit wohl doch zu bunt getrieben haben, um unter Zwang an
geschützte Gesundheitsdaten zu gelangen.“
Die Gier des Jobcenter Harz nach
geschützten „Kunden“-Daten: Dauerstreit beim Sozialgericht Magdeburg
Seit
mindestens zwei Jahren, versucht ein an Diabetes erkrankter 62-jähriger „Kunde“
des Jobcenters im Landkreis Harz sein nach dem Grundgesetz geschütztes Recht
auf Informationelle Selbstbestimmung gegenüber der Hartz IV-Behörde zu
verteidigen. Inzwischen füllt sein Kampf um die vom Gesetzgeber ausdrücklich
beabsichtigte Verweigerung einer Freigabe der ärztlichen Schweigepflicht
gegenüber Jobcenter, Amtsarzt und dem Vorsitzenden der 15. Kammer dicke Akten
und mehrere Klagen beim Sozialgericht Magdeburg.
Die Sache eskalierte, nachdem
der aufstockende Selbständige im Januar Rechtsmittel gegen eine Sanktion und
dreimonatige Leistungskürzung um 60% eingelegt hatte.
Richter übt Druck aus: ohne Schweigepflichtenbindung
keine Weiterführung der Eilklage
Im Mai zog sich
die Eilklage mittlerweile 4 Monate hin. Nachdem der Kläger im Rahmen des
Verfahrens erklärt hatte, er sei wegen mehrerer chronischer Erkrankungen nicht
mehr voll arbeitsfähig, stellte der Vorsitzende der 15. Kammer, Richter
Hausmann, plötzlich eine neue Hürde auf.
Mit massivem Druck versuchte er, eine
Blanko-Erklärung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht und damit
vollständige Offenbarung sämtlicher, auch zurückliegender Gesundheitsdaten zu
erzwingen.
Dabei schreckte der Vorsitzende Richter der 15. Kammer auch nicht
vor einem als mutmaßliche Nötigung zu empfindendem Hinweis zurück:
- „Die (...) Erklärung benötigt das Gericht unbedingt, um
Auskünfte einholen zu können (...). Diese Auskünfte (...) sind unverzichtbar.
Ohne diese Erklärung kann das Verfahren nicht weiterbetrieben werden.“
Das vom Sozialgericht für unverzichtbar erklärte
Nackt-Machen des Klägers sah dann so aus dass er sein Einverständnis dafür
erklären sollte:
1.„dass alle vom Gericht (...) für erforderlich
gehaltenen Unterlagen beigezogen werden“ - ohne zu wissen um welche Unterlagen
im Einzelnen und aus welchen Quellen.
2.„Ich befreie die zu ersuchenden Stellen von ihrer
Geheimhaltungspflicht“ - ohne zu allerdings wissen, wen er damit tatsächlich
von der Geheimhaltung befreien würde.
3.„Soweit diese Unterlagen ärztliche Gutachten und
sonstige Vorgänge medizinischer Art enthalten, erteile ich zugleich die
Entbindung von der Schweigepflicht“ - ohne zu wissen, welche ihm nicht
bekannten Gutachter und Ärzte er bezüglich welcher Unterlagen von einer
Schweigepflicht befreien sollte.
4.„... und entbinde die Ärzte, bei denen ich in
Behandlung bin, war oder während des Verfahrens sein werde sowie die vom
Gericht beauftragten medizinischen Sachverständigen von ihrer Schweigepflicht“
- also ein Blanko-Verzicht auf jeglichen Schutz seiner Gesundheitsdaten
gegenüber allen und jedem.
Die merkwürdige Rechtslage verbot es zwar dem auch in
dieser Sache von der Hartz4-Plattform angerufenen Landesdatenschutzbeauftragten
beim Sozialgericht zu intervenieren, denn, so teilte der mit:
- „Aus dem Fragebogen ist erkennbar, dass das
Sozialgericht diesen im Rahmen von Gerichtsverfahren verwendet. Leider ist mir
nicht möglich, Angelegenheiten, die Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens
sind, datenschutzrechtlich zu bewerten. Gemäß § 22 Abs. 1 des
Datenschutzgesetzes Sachsen-Anhalt (DSG LSA) unterliegen die Gerichte der
Kontrolle durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz nur, soweit sie in
Verwaltungsangelegenheiten tätig werden.“
Im Gespräch mit Hartz4-Plattform-Sprecherin, Brigitte
Vallenthin, bestätigte er jedoch, dass die Freigabe der ärztlichen
Schweigepflicht grundsätzlich freiwillig sei, nicht erzwungen werden und schon
gar nicht mit einer Kürzung von Sozialleistungen verbunden werden könne.
Sozialgericht Magdeburg: 9 Monate um 1.
Befangenheitsantrag zu entscheiden
Zwischenzeitlich sah sich der Kläger gezwungen,
Befangenheitsantrag gegen den Richter für mehrere Verfahren einzureichen. Das
Sozialgericht Magdeburg brauchte neun Monate, um wie zu erwarten zugunsten des
Richters im eigenen Hause zu entscheiden.
Von all dem offensichtlich gänzlich
unberührt schickt der Richter dem Jobcenter ein hausärztliches
Gesundheitsgutachten - obwohl dies ausdrücklich vom Kläger mit einem
„Streng-vertraulich“-Vermerkt versehen war und nur zur Gerichtsakte übergeben
war.
Da klang es für den Kläger nur noch wie Hohn - nachdem die Hartz
IV-Behörde auf dem Umweg über das Sozialgericht an Gesundheitsdaten gelangte,
die ihm nach Aktenlage ausdrücklich verweigert worden waren
- dass der Richter
am 5. November im Nachhinein schrieb:
Es „bestehen hier Zweifel, ob Sie damit
einverstanden gewesen sind, dass das Gericht dem Jobcenter das vollständige
Gutachten(...) übermittelt hat. Sie werden (...) um kurzfristige Mitteilung
gebeten, ob Sie damit einverstanden gewesen sind oder nicht.“
Am Ende: richterliche Entscheidung ohne Würdigung des
Gesundheitsgutachtens
Der Kläger bestätigte, was der Richter längst aus den
Akten wusste:
natürlich war er nicht mit der Weitergabe seiner Daten
durch das Gericht einverstanden. „Ein unglaublicher Vorgang,“ findet Brigitte
Vallenthin.
„Eigentlich hätte doch ein Sozialrichter wissen müssen,
dass er zur Weitergabe von geschützten Daten nicht nachher sondern vorher das
Einverständnis hätte einholen müssen.“
Und am Ende weigert er sich sogar die
Gesundheitsdaten bei seiner Urteilsfindung zu berücksichtigen, weil er sie
offiziell nicht hätte weitergeben dürfen, und entscheidet am 11.11. zugunsten
des Jobcenters.
Inzwischen blieb dem Betroffenen keine andere Wahl, als
gegen den vorsitzenden Richter der 15. Kammer einen 2. Befangenheitsantrag zu
stellen.
Auffällig: der wurde allerdings nicht wie im Geschäftsverteilungsplan
des Gerichts vorgesehen anderen Richtern und zwar denen der 16. Kammer zur
Entscheidung zugewiesen. Der Direktor des Sozialgerichts Magdeburg erklärt das
so:
- „Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
können Richter über ein Ablehnungsgesuch, das gegen sie gerichtet ist, selbst
entscheiden, wenn es offensichtlich missbräuchlich ist.“
- „Ferner hat der Richter (...) zu prüfen, ob er das
Gesuch für begründet hält.“
Und jetzt hat der Richter auf Probe obendrein noch ein
Anhörungsrüge-Verfahren gegen sich auf dem Tisch, in dem Wiederaufnahme des
Verfahrens beantragt wird, das er ohne Anhörung und Würdigung des
Gesundheitszustandes des Klägers im Interesse des Jobcenters und mit seinem OK
für die 60%-Sanktion beendet hatte.
Jobcenter Hartz verschärft Druck auf
Schweigepflichtentbindung mit Androhung vollständiger Leistungseinstellung
Mit dieser Rückenstärkung des Sozialgerichts Magdeburg
verschärft die Hartz IV-Behörde noch einmal den Druck auf seinen „Kunden“, legt
abermals eine Schweigepflicht-Entbindung zur Unterschrift vor und droht:
- „Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass wenn Sie ihrer
Mitwirkungspflicht (...) nicht nachkommen (den beigefügten Vordruck vollständig
ausgefüllt und unterschrieben einzureichen), die Leistung
(...) versagt werden kann.“
Auch gegenüber Amtsarzt keine Pflicht zur Freigabe der
ärztlichen Schweigepflicht
Nachdem er durch die Hartz4-Plattform Kenntnis von dem
skandalösen Umgang des Jobcenters Harz erlangt hatte, hat mittlerweile der für
die Vorfälle zuständige Landesdatenschutzbeauftragte von sich aus bei der
Behörde interveniert.
Er stellt genau das Gegenteil der bislang vom
Sozialgericht Magdeburg unterstützten Rechtsauffassung fest.
Neben einer
grundsätzlichen Rüge teilt er der Hartz IV-Verwaltung mit, dass sie selbst eine
Verweigerung der Schweigepflichtentbindung gegenüber einem Amtsarzt akzeptieren
müsse.
Denn wenn diese Erklärung mit Recht nicht abgegeben werde, „hat der
(...) (Amts-)Arzt ggf. auf die Beiziehung entsprechender Vorbefunde zu
verzichten und muss das Leistungsvermögen des (...) Leistungsbeziehers durch
eigene Untersuchungen ermitteln.“
Datenschutzbeauftragter:
ärztliche
Schweigepflicht-Freigabe keine „Mitwirkungspflicht“!
Unmissverständlich deutlich wird der
Datenschutzbeauftragte zum Schluss seines Schreibens an das Jobcenter Landkreis
Harz und gleichzeitig indirekt gegenüber dem Vorsitzenden der 15. Kammer des
Sozialgerichts Magdeburg, Richter Hausmann:
- „Demnach wäre es bedenklich, mit einer
Leistungsverweigerung zu drohen, wenn eine gewünschte Schweigepflichtentbindung
nicht erteilt wird.
- Ich bitte, die Hinweise zukünftig zu berücksichtigen,
um den Eindruck zu vermeiden, Schweigepflichtentbindungen sollten mit
unangemessenem Druck abgefordert werden.“
Das Jobcenter zumindest scheint zunächst weiterhin
uneinsichtig und teilt seinem Kunden daraufhin mit, dass von ihm die Auffassung
des Landesdatenschutzbeauftragten “nicht vollinhaltlich geteilt wird“ - nach
dem Motto:
was scheren uns Grundgesetz und Datenschutz-Recht:
wir machen weiter
so und das Sozialgericht Magdeburg hilft uns dabei.
„Wir sind gespannt,“ so die Hartz4-Plattform-Sprecherin,
„ob der Richter in Probezeit sich weiterhin über das Grundrecht auf
informationelle Selbstbestimmung und dessen Bekräftigung durch den
Landesbeauftragten für den Datenschutz hinweg setzt - und ob seine
Richterkollegen beim Sozialgericht Magdeburg sich dabei weiterhin hinter ihn
stellen werden?
Die Kläger jedenfalls sind entschlossen, um ihre Rechte
bis zum Bundessozialgericht zu kämpfen. Und wir werden sie dabei unterstützen“,
so Brigitte Vallenthin.
Wiesbaden, 10. Dezember 2013
Brigitte Vallenthin
Presse
*Hartz4-Plattform*
*die Hartz IV-Lobby*
0611-1721221
01525-3520721
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